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Strukturwandel in der Küstenfischerei

Die Küstenfischerei an Nord- und Ostsee steckt tief in der Krise. Die Leiter der Thünen-Institute für Seefischerei und Ostseefischerei, Dr. Gerd Kraus und Dr. Christopher Zimmermann, beleuchten die Situation.

Die Küstenfischerei an Nord- und Ostsee steckt tief in der Krise, und das obwohl die Überfischung seit der Jahrtausendwende drastisch zurückgegangen ist. Es gibt vielfältige Faktoren, die diese für die ganze Küstenregion identitätsstiftende Fischereiform in ihrer Existenz bedrohen: Auswirkungen des Klimawandels beeinträchtigen die Produktivität einzelner, besonders wichtiger Arten. Hinzu kommen zunehmende Fanggebietsverluste, verschärfte gesetzliche Auflagen für die häufig überalterten Fahrzeuge, die entsprechend schwierige Suche nach Betriebsnachfolgern und das schlechte öffentliche Image der Fischerei. An der Ostseeküste macht die Rückkehr der Kegelrobben die Stellnetzfischerei zunehmend schwierig.

Die drastischen Quoteneinschnitte 2020 und 2021 bei Ostseehering, Dorsch und Nordseekabeljau, die extremen Fangmengenschwankungen bei der Nordseegarnele und Corona-bedingte Absatzprobleme haben dazu geführt, dass sich die Situation nochmals massiv verschärft hat. Weder für den Hering der westlichen Ostsee noch für den Kabeljau der südlichen Nordsee ist zu erwarten, dass die Fangmengen wieder in die Nähe der Höchstwerte vergangener Jahrzehnte steigen.

Die kleinen Küstenfischereien sind in der Regel nicht in der Lage, in andere Regionen oder auf andere Zielarten auszuweichen. Inzwischen stehen staatliche Überbrückungshilfen und Stilllegungsprämien zur Verfügung. Das kann den Betroffenen helfen, doch beschleunigt es auch den Niedergang der Haupterwerbsfischerei: Immer mehr Betriebe geben auf oder wechseln in den Nebenerwerb, wie derzeit insbesondere an der Ostsee zu beobachten ist.

Wenn nun das mittlere Segment der haupterwerblichen Familienbetriebe zunehmend wegbricht, bleiben einige große, effizient arbeitende Unternehmen übrig, außerdem zahlreiche Nebenerwerbsfischer mit ihren weit weniger strengen Auflagen und Kontrollen. Das wirkt sich auf die Landstrukturen aus: Die Fischerei konzentriert sich auf wenige Häfen, und Erzeugerorganisationen, die bisher Transport, Kisten, Eis und Buchführung zur Verfügung stellen, verschwinden. Denn sie können von den Nebenerwerbsbetrieben, die überwiegend auf Direktvermarktung setzen, nicht ausreichend finanziert werden. Die indirekten Folgen reichen weit über den Sektor Fischerei hinaus. Die handwerkliche Küstenfischerei ist prägend für die Kultur und Lebensweise an der Küste und hat allein schon deshalb eine erhebliche regionalwirtschaftliche Bedeutung.

Neue Herausforderungen für die Fischereipolitik

Die Fortsetzung dieser Trends wird auch die Fischereipolitik vor neue Herausforderungen stellen: Die Fortführung der Fischerei in der Fläche durch Nebenerwerbsbetriebe stärkt den Tourismus, doch ist diese Fischereiform schwer zu überwachen. Dadurch steigt die Gefahr, dass die Fischbestände nicht nachhaltig genutzt werden – ein Zustand, der vom Mittelmeer gut bekannt ist. Das erhöht den Druck auf die Regierung, die Regeln auch für die Nebenerwerbs- und Freizeitfischerei zu verschärfen, und endet absehbar im politischen Dauerstreit.

Ist das die Zukunft, die wir uns wünschen? Das hängt von den Alternativen ab. Daher ist es sinnvoll, verschiedene Politikoptionen auszuarbeiten und zu untersuchen, wie sich diese auf die Zukunft der Küstenfischerei und der Küstenregionen auswirken. Im Endeffekt müsste daraus ein Konzept entstehen, das eine bessere Langfristperspektive für die Küstenfischerei und die Nutzung der Fischbestände aufzeigt und sowohl finanziell als auch administrativ umsetzbar ist.

Dauert das nicht viel zu lange? Keine Frage, der Strukturwandel ist in vollem Gange, und die Politik kann nicht immer warten, bis sorgfältig ausgearbeitete Zukunftskonzepte vorliegen. Andererseits werden die Grundsatzfragen zur Zukunft der Küstenfischerei dauerhaft auf der Tagesordnung bleiben, denn allein mit Notmaßnahmen lässt sich keine überzeugende Perspektive entwickeln. Deshalb wollen wir unsere Forschung verstärkt auf die Entwicklung von Lösungsoptionen ausrichten. Hierfür benötigen wir die Kompetenzen verschiedener Forschungsdisziplinen, außerdem das Fachwissen und die Kreativität der Wirtschaftsunternehmen und der Verwaltung vor Ort.

Dieser Beitrag ist erschienen in der Zeitschrift des Thünen-Instituts, "Wissenschaft erleben" (2020/2).

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