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Ausbau der Offshore Energiegewinnung – Konflikte sind vorprogrammiert

Thünen-Wissenschaftler präsentieren Konzepte für eine gemeinsame Flächennutzung durch Windparkbetreiber und Fischerei

Auf dem Weg zur CO2-neutralen Energieversorgung spielen Offshore-Anlagen wie Windturbinen oder Wellen- und Gezeitenkraftwerke eine zentrale Rolle. Die Planung, Konstruktion und Inbetriebnahme neuer Anlagen, die den wachsenden Bedarf an Energie aus erneuerbaren Quellen decken sollen, betrifft große Meeresgebiete in den ausschließlichen Wirtschaftszonen der europäischen Staaten, also den Meeresgebieten innerhalb der 200-Meilen-Zone, in denen ein Staat exklusive Nutzungsrechte hält. Nicht nur in Nord- und Ostsee wird es deshalb in naher Zukunft eng werden, sondern in allen europäischen Meeren. Die sich verschärfenden Konflikte um knappe Flächen haben weitreichende Auswirkungen auf die Fischerei und die Verfügbarkeit von Fanggründen.

Eine Forschergruppe um Dr. Vanessa Stelzenmüller vom Thünen-Institut für Seefischerei in Bremerhaven hat nun in einer aktuellen Studie erstmals die Überschneidungen von bestehenden und geplanten Offshore-Energie-Standorten mit den Fanggründen der Fischerei ermittelt und so eine Grundlage für die Bewertung von Flächenkonflikten und den möglichen wirtschaftlichen Folgen erarbeitet.

Bereits jetzt sind vor allem in der Nord- und Ostsee große Bereiche mit Offshore-Installationen bebaut. Den größten Anteil seiner ausschließlichen Wirtschaftszone hat mit rund 1480 km2 das Vereinigte Königreich der Energiegewinnung aus Erneuerbaren gewidmet, gefolgt von Deutschland und Dänemark. Dabei setzen die drei Länder vor allem auf die Nutzung von Windkraft. Langfristig soll der weitere Ausbau dieses Sektors insgesamt ca. 60.000 km2 in der Nordsee (rund 10 % der Gesamtfläche) und 20.000 km2 in der Ostsee betreffen. Gegenüber der aktuell für Windkraft genutzten Fläche von rund 5.000 km2 in der Nordsee und kaum nennenswerten Flächen in der Ostsee stellt dies einen erheblichen Zuwachs an Flächenbedarf dar. Auch in den anderen europäischen Meeren, der Keltischen See, der Atlantischen Region und dem Mittelmeer, sehen die Planungen insbesondere nach 2025 deutliche Zunahmen in der Flächennutzung zur Energiegewinnung vor.

Da in den meisten Arealen nicht oder nur sehr eingeschränkt gefischt werden darf, kommt es demnach für die Fischerei zu teilweise dramatischen Verlusten von Fanggebieten. Das konnten die Wissenschaftler*innen zeigen, indem sie Daten zu bestehenden bzw. in Konstruktion oder Planung befindlichen Anlagen mit Informationen zur Verteilung und Intensität des Fischereiaufwands in den betreffenden Gebieten übereinanderlegten und so den möglichen Verlust von Fangmöglichkeiten für die Fischerei bezifferten. Vor allem die Schleppnetzfischerei auf bodennah lebende Arten und Arten im freien Wasserkörper ist betroffen. Die Folgen sind komplex und gehen weit über den reinen Verlust von Fanggebieten und den damit verbundenen Einnahmen für die Fischer hinaus. Sie wirken sich auch auf die wirtschaftliche Situation in nachgelagerten Sektoren wie der Fischverarbeitung, den Tourismus und somit das sozio-kulturelle Gefüge in den Küstengemeinden insgesamt aus.

Interessensausgleich durch Co-Nutzung

Um Konflikte zwischen den verschiedenen Nutzungsformen sowie zwischen Nutzungen und Naturschutz zu minimieren, sehen die Wissenschaftler*innen des Thünen-Instituts in einer maritimen Raumplanung, die die betroffenen Interessensgruppen einbezieht, ein wirkungsvolles Instrument. Bisher vernachlässigen viele Raumplanungsprozesse jedoch häufig die Fischerei. Das hat verschiedene Gründe. Zum einen sind deren Aktivitäten vom Aufenthaltsort und der Mobilität ihrer Zielarten abhängig und lassen sich somit schwer auf konkrete Meeresgebiete festlegen. Zum anderen werden politische Prioritäten bei der maritimen Raumnutzung häufig zu Ungunsten der Fischer gesetzt. „Wollen wir der Fischerei im Konflikt um den knappen Meeresraum eine Chance geben und so auch zukünftig eine nachhaltige Nutzung der Fischbestände ermöglichen, dann müssen wir ihre Interessen in der maritimen Raumplanung berücksichtigen“, sagt Thünen-Forscherin Vanessa Stelzenmüller. „Ein vielversprechender Ansatz könnte eine Co-Nutzung von Offshore-Windparks sein. Speziell gestaltete Fundamentkonstruktionen könnten eine stationäre Aquakultur erlauben oder Fischer könnten nach Schutz- und Nutzungsabwägung mit Fangkörben und verschieden Formen von Fischfallen sogenannte passive Fischereien ausüben, von denen keine Risiken für die Anlagen ausgehen.“

Für die Forschenden sind die Studienergebnisse ein wichtiger Schritt, um die möglichen wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen der wachsenden Offshore-Energiegewinnung für die europäische Fischerei besser zu verstehen. In eine integrierte maritime Raumplanung muss eine Gesamtbetrachtung des zukünftigen Flächenbedarfs, insbesondere durch den Ausbau der Windenergiegewinnung und steigende Naturschutzanforderungen, einfließen. Eine nachhaltige Lösung der aufkeimenden Flächen- und Nutzungskonflikte gibt es nur, wenn verschiedene Interessen berücksichtigt werden und aufgezeigt wird, wie sich die Fischerei an sich ändernde Bedingungen anpassen kann. Die Wissenschaftler*innen sind sich sicher, dass die Co-Nutzung von Offshore-Energiegewinnungsflächen dabei in Zukunft eine zentrale Rolle spielen wird. Das wird so auch im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung adressiert. Welche konkreten Aktivitäten und Nutzungsformen hier am vielversprechendsten und auch am besten umsetzbar sind, dazu wollen sie noch weiter forschen.

Publikation: V. Stelzenmüller, J. Letschert, A. Gimpel, C. Kraan, W.N. Probst, S. Degraer, R. Döring (2022) From plate to plug: The impact of offshore renewables on European fisheries and the role of marine spatial planning. Renewable and Sustainable Energy Reviews, 158.
<link https: doi.org j.rser.2022.112108 external-link-new-window external link in new>

doi.org/10.1016/j.rser.2022.112108

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